Protokoll der norddeutschen Werftenkonferenz am 21. April 1983 in Hamburg
Teilnehmer:
Siehe Anlage 1
Tagesordnung:
Einziger TOP:
Situation des Schiffbaus und der Schiffahrt
Der Erste Bürgermeister Dr. von Dohnanyi eröffnet um 9.15 Uhr die Konferenz und begrüßt die Teilnehmer.
Es folgen die Vorträge der Verbands- und Gewerkschaftsvertreter lt. Anlagen 2 bis 9 in folgender Reihenfolge:
Herr Dr. Budczies, Verband der Deutschen Schiffbauindustrie (VDS)
- Herr Musa, Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)
- Herr vom Steeg, IG Metall
- Im Anschluß an seinen Vortrag weist Herr vom Steeg die Ansicht des VDS zurück, die Sozialplan-Forderungen zu reduzieren und bestreitet die Kompetenz des VDS zu derartigen Aussagen. Er distanziert sich von der nach seiner Auffassung in dem Vortrag des VDS enthaltenen Diskriminierung der ausländischen Arbeitnehmer.
- Herr Dr. de La Trobe, Verband Deutscher Reeder (VDR)
- Herr Köster, Verband Deutscher Küstenschiffseigner (VDK)
- Herr Dr. Blume, Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA)
- Herr Merten, Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV)
- Herr Issen, Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG)
Um 11.30 Uhr eröffnet Bürgermeister Dr. von Dohnanyi die Diskussion zu den Vorträgen.
Auf Fragen von Ministerpräsident Dr. Albrecht weist Herr Dr. Budczies auf den gesamtwirtschaftlichen Strukturwandel hin und erläutert, daß Diversifikation keinen ausreichenden Ausgleich für die schrumpfenden Schiffbauaufträge biete. Außerdem würden Subventionen für die Diversifikation diejenigen Werften benachteiligen, die bereits aus eigener Kraft diversifiziert hätten. Der VDMA sei gleicher Ansicht.
Herr Dr. de La Trobe bestätigt, daß es einen Subventionswettlauf zwischen den Küstenländern gibt, in Einzelfällen auch in Form von Vorverträgen. Dies sei allerdings kein akutes Problem.
Bürgermeister Koschnick merkt an, daß in den Vorträgen die Arbeitslosigkeit als Folge der Werftenkrise nicht angemessen berücksichtigt sei, dieses Problem könne von den Unternehmen allein nicht gelöst werden. Herr Dr. de La Trobe antwortet auf die Frage, ob bei verstärkter Subvention die Schiffsnachfrage deutscher Reeder wachsen könne, daß es nicht sinnvoll sei, durch eine Erhöhung der Neubauzuschüsse Schiffsneubauten auszulösen, für die es auf dem Markt keinen echten Bedarf gäbe. Es sei besser, durch Zahlung von Finanzbeiträgen die wirtschaftliche Kraft der Reeder zu stärken. Finanzbeiträge brächten zwar direkt keine neuen Aufträge, würden aber indirekt in einem Dreijahreszeitraum durch Stärkung der Wirtschaftskraft der Reeder diesen die Möglichkeit für Schiffsbestellungen geben.
Bürgermeister Koschnick fragt, ob ein weltweiter Zuwachs an Reederaufträge entgegen den Prognosen nicht doch durch den Erneuerungsbedarf möglich sei.
Herr Dr. Budczies erwartet mittelfristig keine Belebung der Nachfrage, sondern einen Tiefpunkt 1984/85. Danach sei ein Wiederaufschwung möglich. Auf die weitere Frage, in welchem Umfang die deutschen Werften am Wiederaufschwung nach 1985 teilhaben könnten, erklärt Dr. Budczies, daß bei der Beurteilung die erheblichen Kostennachteile gegenüber Ostasien zu berücksichtigen sind. Insbesondere die Kostenvorteile von Korea seien nicht einzuholen. Auch in Japan seien die Lohnkosten pro Schiff geringer, da bei gleichem Lohn mehr Arbeit geleistet werde.
Ministerpräsident Dr. Barschel betont, daß bei einer Umrechnung des von der IG Metall geforderten jährlichen Auftragsvolumens von 3,5 Mrd DM ein Personalabbau von 6.000 Stellen impliziert wird, wenn davon ausgegangen wird, daß ein Auftragsvolumen von 3 Mrd DM zu einem Arbeitsplatzabbau von 9.000 Stellen führt, wie es der VDS vorgetragen hat.
Herr vom Steeg meint dazu, daß die Zahlen und Umrechnung der IG Metall nicht ganz den Realitäten entsprächen, weil die im Handelsschiffbau nicht mehr benötigten Arbeitnehmer über die Diversifikation weiter beschäftigt werden sollten. Im übrigen seien lt. Bericht der EG-Kommission die Lohnkosten in Japan keineswegs niedriger als in der Bundesrepublik.
Minister Dr. Westphal fragt, ob in den Überlegungen der IG Metall das Rationalisierungspotential der Werften berücksichtigt sei. Herr vom Steeg verweist auf die entsprechenden Ausführungen in der schriftlichen Unterlage der IG Metall. Danach müsse für die durch Rationalisierung wegfallenden Arbeitsplätze ein Ausgleich durch neue Produkte geschaffen werden, dazu sei ein erheblicher Forschungs- und Entwicklungseinsatz notwendig und – bisher fehlender – unternehmerischer Mut.
Herr Dr. Budczies erklärt, Blohm + Voss habe frühzeitig diversifiziert, aber auch in diesem Bereich seien Arbeitsplätze verlorengegangen, wie z.B. die rückläufigen Beschäftigtenzahlen im Maschinenbau zeige. Außerdem bedeute Diversifikation weitgehend den Einbruch in die Märkte anderer Industriebetriebe ohne Arbeitsplatzzuwachs für die Volkswirtschaft.
Frau Minister Breuel bittet Herrn Dr. de La Trobe um Präzisierung zur liefergebundenen Entwicklungshilfe und zu seiner Aussage, unterschiedliche Länderförderungen würden akut keine Rolle spielen. Herr Dr. de La Trobe erläutert, daß liefergebundene Entwicklungshilfe aus Sicht der VDR so lange sinnvoll sei, wie geförderte Schiffe nicht als Konkurrenten am Markt für deutsche Schiffe auftreten (z.B. Fischerei, inter-insularer Verkehr). Es sei nicht sinnvoll, Linienschiffahrt von Entwicklungsländern zu fördern (z.B. Volksrepublik China mit Drittländer-Ladung). Auch der VDR halte langfristig eine einheitliche Subventionspolitik der Küstenländer für erforderlich. Ein Subventionswettlauf dürfe nicht stattfinden.
Bürgermeister Dr. von Dohnanyi fragt, wie die Gewerkschaften das Problem beurteilten, durch Diversifikation auf den Werften andere Unternehmen zu beeinträchtigen.
Herr vom Steeg verweist auf die notwendige aktive Beschäftigungspolitik über ein Beschäftigungsprogramm mit der Folge einer indirekten Belebung der Wirtschaftstätigkeit auch für die Werften. Neue Produkte seien insbesondere in dem Bereich zu suchen, wo der Bedarf anderswo noch nicht abgedeckt sei, beispielsweise im Umweltschutz. Es fehle bisher an der notwendigen Kontinuität im Aufbau diversifizierter Bereiche über die Konjunkturbewegungen hinweg. Gleichfalls fehle es an der notwendigen Kooperationsbereitschaft der Werften. Im übrigen sei die Fertigungstiefe auf den Werften zu erweitern.
Ministerialdirigent Dr. Obernolte weist auf die Gefahren der Wettbewerbsverfälschung hin, die mit einer Subvention verschiedener Produkte und Betriebe verbunden ist. Zudem dürfe die Diversifikationsförderung kein statisches Instrument sein, da die Maßnahmen in drei bis fünf Jahren überflüssig werden könnten.
Herr Issen bezeichnet für die DAG sowohl die Innovation, d.h. die Erschließung völlig neuer Märkte,als auch das Eindringen in bestehende Märkte als für die Werften unverzichtbar. Die Werften müßten mit ihrer Produktion beweglicher auf die Anforderungen des Marktes reagieren.
Herr Dr. Budczies spricht sich zwar für eine Diversifikation aus, weist jedoch darauf hin, daß kurzfristig dadurch kein Ersatz für 9.000 abzubauende Arbeitsplätze gefunden werden könne. Im übrigen bedinge die notwendige Rationalisierung Arbeitsplatzverluste. Bei der Forderung nach mehr Fertigungstiefe sei zu berücksichtigen, daß dies gegen das Prinzip und die Vorteile der Arbeitsteilung zwischen den Werften und der Zulieferindustrie verstoße. Auch die Werften-Enquete habe eine Spezialisierung der Werften auf den Schiffbau sowie die Übernehme von Komponenten durch andere Betriebe gefordert. Grundsätzlich halte der VDS Hilfen für die Diversifikation aber längerfristig für richtig.
Minister Dr. Westphal unterstreicht die Gefahr, daß eine Diversifikationsförderung zum Abbau von Arbeitsplätzen bei anderen Unternehmen in der gleichen Region führe. Gleiches gelte für die Forderung nach mehr Fertigungstiefe. Hier sei eine Saldobetrachtung über den Bereich der Werften hinaus notwendig, was bei den Ausführungen der IG Metall fehle.
Herr vom Steeg fordert einen 10 bis 20%igen Anteil schiffbaufremder Produkte. Andere Werften der EG hätten bereits bis 30% erreicht. Im Maschinenbau gebe es Beispiele in Japan, etwa im Bereich des Antriebs. Im übrigen sei es ein Fehler der Werften gewesen, in den 70er Jahren die Beschäftigungstiefe durch Auslagerung einzelner Komponenten zu verringern. Diversifizierung bringe sicher kurzfristig im Einzelfall keine massive Beschäftigungssicherung, aber bei einer Mehrzahl von Diversifikationsvorhaben summieren sich die Beschäftigungserfolge.
Bürgermeister Dr. von Dohnanyi fragt die Verbands- und Gewerkschaftsvertreter, ob ein Kapazitätsabbau unumgänglich sei und welche Größenordnung er ggf. erreichen müsse.
Herr Merten (ÖTV) spricht die Themen Ladungslenkung, neue Techniken für den Schiffsbetrieb und verschärfte Vorschriften zur Schiffssicherheit als indirekte Hilfen für die Werften an.
Herr Dr. de La Trabe gibt einen Überblick zur Situation aus Sicht des VDR. Danach sei die nähere Zukunft pessimistisch zu beurteilen aufgrund weltweiter Rezession, Übertonnage/Auflieger und Zeitverzögerung des allgemeinen Aufschwungs für Seeschiffsmärkte. Von deutschen Reedern seien keine Aufträge für Serien- und Großschiffe zu erwarten. Die Auftragslage für den Neubau von kleineren und mittleren Schiffen sei bisher relativ günstig gewesen. Es sei aber nicht zu übersehen, ob diese Tendenz anhalte. Herr Dr. de La Trobe spricht sich gegen Ladungslenkung – wie sie die ÖTV fordere – aus. Hinsichtlich der Billigflaggen seien auch die deutschen Reeder für verschärfte Hafenkontrollen.
Herr vom Steeg erklärt, daß die IG Metall gegen einen Abbau von Kapazitäten sei. Die nach seiner Ansicht zwei bis drei Jahre dauernde Krise sei durch die bereits genannten Alternativen zu überwinden. Entlassungen seien keine Lösung.
Auf die Frage von Bürgermeister Dr. von Dohnanyi erläutert Herr Dr. Budczies, daß 20 Mio Fertigungsstunden p.a. im Handelsschiffbau nur mit Auftragshilfen und unter Aufstockung der Schiffbauzuschüsse zu realisieren seien.
Herr vom Steeg weist auf die derzeitige Kurzarbeit von rd. 10.000 Arbeitnehmern auf den Werften hin. Überstunden würden sich auch bei geringerer Auslastung wegen der speziellen Produktionsbedingungen auf den Werften nicht vermeiden lassen. Ein Verzicht auf Überstunden müßte zum Wettbewerbsnachteil für deutsche Werften führen.
Ministerialdirigent Dr. Obernolte weist darauf hin, daß eine Diversifikation, aus werfteigenen Mitteln bezahlt, marktwirtschaftlich unbedenklich sei, ein Einsatz öffentlicher Mittel aber zu einer Verschiebung des Wettbewerbs zwischen Groß- und Kleinbetrieben und in der regionalen Verteilung führe.
Senator Willms fragt nach der Größenordnung der Aufliegertonnage und ob von ihr Reparatur- und Umstellungsaufträge zu erwarten seien. Herr Dr. de La Trobe erläutert, daß über die Zukunft der Aufliegertonnage nur spekuliert werden könne. Wahrscheinlich sei mit einem Abwracken zu rechnen. Bisher sei dies lediglich durch den hohen Abschreibungsbedarf verhindert worden.
Senator Lange fragt nach einer Quantifizierung des Arbeitsvolumens neuer Produkte am Beispiel eines Blockheizkraftwerkes. Herr Dr. Budczies sieht sich zur Beantwortung außerstande, da die Antwort vom Einzelfall abhänge.
Auf Fragen von Bürgermeister Koschnick bestätigt Herr Scheer für die DAG die Forderung nach einer Erhöhung der Schiffbauzuschüsse von 12,5 auf 20%, da die Praxis zeige, daß vermehrt deutsche Reeder im Ausland Schiffsneubauten bestellen. Auch die Forderung nach Ausdehnung des Volumens für die Schiffbauzuschüsse sei sinnvoll, damit alle Anträge abgedeckt werden können.
Herr Dr. de La Trobe hält die Wiedereinführung von Finanzbeiträgen und Auftragshilfen für sinnvoller als eine Aufstockung der Schiffbauzuschüsse.
Bürgermeister Dr. von Dohnanyi schließt die Norddeutsche Werftenkonferenz um 12.45 Uhr mit einem Dank an die Teilnehmer.
Dr. Haas Schönleber
Anlage 1
Teilnehmer an der Werftenkonferenz am 21.4.1983 in Hamburg
Bundesregierung:
- Bundesministerium für Wirtschaft
- Ministerialdirigent Dr. Obernolte
Länder:
- Schleswig-Holstein
- Ministerpräsident Dr. Barschel
- Minister Dr. Westphal
- Staatssekretär Hebbeln
- Staatssekretär Nebel
- Staatssekretär Behnke (Pressestelle)
- Ministerialdirigent Dr. Kühl
- Ministerialdirigent Adrian
- Ministerialrat Erdmann
- Bremen
- Bürgermeister Koschnick
- Senator Willms
- Staatsrat Dr. Weiss
- Senatsrat Theilen
- Senatsdirektor Dr. Hennemann
- Herr von Scheven (Pressestelle)
- Frau Brinkmann
- die Herren Kollmann,
- Jurek und
- Müller
- Niedersachsen
- Ministerpräsident Dr. Albrecht
- Minister Breuel
- Staatssekretär Meyer
- Ministerialdirigent Stuhr
- Herr Dr. von Poser (Pressestelle)
- Herr Dr. Krautwig
- Hamburg
- Erster Bürgermeister Dr. von Dohnanyi
- Senator Lange
- Staatsrat Dr. Haas
- Staatsrat Dr. Schulze
- Herr Dr. Tidick (Pressestelle)
- Senatsdirektor Kölling
- die Herren Jonas,
- Elers,
- Schönleber,
- Dr. Körner,
- Weichsel,
- Fiedler,
- Becker und
- Piepenbrink
Verbände:
- Verband der Deutschen Schiffbauindustrie
- Verband Deutscher Reeder
- Dr. de La Trobe
- Dr. Kröger
- Verband Deutscher Küstenschiffseigner
- Verband Deutscher Maschinen-und Anlagenbau
Gewerkschaften:
- IG Metall
- DGB, Landesbezirk Nordmark
- DGB, Landesbezirk Niedersachsen
- Deutsche Angestelltengewerkschaft
- Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr